Von EDGAR FRANZMANN
Wanderer, kommst du nach Köln-Ehrenfeld, entdeckst du, weitab von jeglichem Meer, einen hoch aufragenden Leuchtturm. Der Leuchtturm war das Wahrzeichen der "Helios Electricitäts Aktiengesellschaft", die vor über 100 Jahren in Konkurs ging, nachdem sie deutsche Industriegeschichte geschrieben hatte. Werner Schäfke, langjähriger Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, hat jetzt die Helios-Story in einem lesens- und sehenswerten Bildband zusammengestellt.
Bildergalerie zum Bildband "Helios - Ein Leuchtturm für Ehrenfeld"
"Helios - Ein Leuchtturm für Ehrenfeld" heißt das querformatige Werk, das auf 96 Seiten mit zahlreichen Abbildungen ein faszinierendes Stück Kölner Industriegeschichte erzählt (Emons-Verlag, 17,95 Euro). Helios ist eine Kölner Legende, über die aber bisher wenig bekannt war. Schäfke wurde im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv fündig, dessen Direktor Ulrich S. Soénius das Buch gemeinsam mit Verleger Hejo Emons vorstellte.
Weitere Materialien fand Schäfke in der Kölner Universität und in Antiquariaten, aber: "Ohne das Internet mit seinen Recherchemöglichkeiten hätte dieses Buch nie in dieser Qualität entstehen können"
Die Bilder führen in Welten, wie man sie aus frühen Schwarz-Weiß-Filmen kennt, mit dem Unterschied, dass diese Bilder keine Scheinwelt zeigen, sondern wirkliche Industriearchitektur. Die Geschichte hinter den Bildern ist nicht weniger spannend.
Das Unternehmen Helios begann 1883 bescheiden in der Kölner Glockengasse 9, ehe es zwei Jahre später nach Ehrenfeld umsiedelte, das 1888 nach Köln eingemeindet wurde. "Der Helios", wie die Kölner sagen, entwickelte sich bis zum Jahr 1900 zu einem der wichtigsten deutschen Elektrounternehmen, das es sogar mit Konkurrenten wie Siemens oder AEG aufnehmen konnte.
Der Aufstieg des Unternehmens hing stark mit der Person des technischen Direktos Carl Theodor Coerper zusammen, ein unangenehmer Zeitgenosse, aber auch ein Mann mit Weitblick. Er setzte frühzeitig auf Wechselstrom statt des marktbeherrschenden Gleichstroms, und er verband seine Dampfmaschinen direkt mit den Dynamos und konstruierte so ungleich produktivere stromproduzierende Maschinen.
Die Zahl der Mitarbeiter stieg von 25 im Jahr 1882 auf 1000 im Jahr 1900. Auch die Stadt Köln profitierte vom Helios, und umgekehrt. Der Stadtrat beschloss am 9. Februar 1888, Kölns städtisches Elektrizitätswerk als erstes auf deutschem Boden für Wechselstrom einzurichten. Der Auftrag ging an Helios.
Im Jahr 1891 beschloss der Rat die elektrische Beleuchtung des Gürzenich mit 862 Glühlampen und vier Bogenlampen.
1901 wurde die Kölner Ringbahn als erste elektrifizierte Strecke in Betrieb genommen. Nach langen Verhandlungen hatte die Stadt die privaten Pferdebahnenlinien erworben und mit der Elektrifizierung begonnen. Die Leitungen wurden - mit Rücksicht auf den Rosenmontagszug - in sieben Metern Höhe verlegt. Die Leitungsmasten trugen zugleich eine Bogenlampe für die abendliche Beleuchtung der Ringe.
Das Kabelnetz der Elektrizitätswerke wurde 1901/02 auf Bayenthal, Müngersdorf, Ehrenfeld, Lindenthal und Deutz ausgedehnt. Alles lukrative Aufträge für Helios.
Das Unternehmen feierte international Erfolge. Es unterhielt Büros u.a. in Amsterdam, Berlin, Breslau, Straßburg, Neapel, Warschau und La Spezia. Vertreter saßen in Konstantinopel, Genua, London und St. Petersburg. Der Helios produzierte Straßenbahnen und Elektrizitätswerke.
Nur eins produzierte der Helios nie: Leuchttürme. Der Helios lieferte in seiner kurzen Geschichte nur die Elektrifizierung für die Leuchttürme, also Kabel und Stromerzeugung, keine Lichtquellen, keine Optik, keine Architektur. Aber tatsächlich gab es in dieser Zeit auch keinen deutschen Leuchtturm, der nicht von Helios versorgt worden wäre. Und stolz war Helios auch auf die komplizierte Beleuchtung des Nord-Ostsee-Kanals.
In Köln hält sich die Legende, der Ehrenfelder Leuchtturm sei eigentlich für Sansibar bestimmt gewesen, tatsächlich war er nur eine geniale Marketingmaßnahme - mit immerhin realem Hintergrund. Auf der Pariser Weltausstellung von 1900 präsentierte sich Deutschland u.a. mit einer Kopie des Leuchtturms "Roter Sand", der Helios-Technik enthielt.
Im selben Jahr begann aber auch schon der dramatische Abstieg des Kölner Unternehmens. Stark gebeutelt durch die Wirtschafskrise der Jahrhundertwende musste der Helios 1905 Konkurs anmelden. Geblieben ist der Leuchtturm, inzwischen als Denkmal gesichert.
Um die künftige Nutzung des ehemaligen Betriebsgeländes in Ehrenfeld wird zur Zeit erbittert gestritten. Die Zukunft des Areals ist ungewiss, nur der Leuchtturm, der wird dort sicher noch einige Jahrzehnte überleben.