Fast 40 Jahre nach seiner letzten Retrospektive zeigt das Museum Ludwig das Werk von Otto Freundlich (1878-1943). Mit Hilfe von rund 80 Exponaten zeichnet die Ausstellung Werk, Denken und Leben eines Künstlers nach, der Gemälde und Skulpturen ebenso schuf wie Fenster und Mosaike.
Otto Freundlich, Großer Kopf („Der neue Mensch“) Titelbild des Ausstellungsführers Entartete Kunst, 1937
Otto Freundlich setzte sich mit den wichtigsten Kunstströmungen seiner Zeit auseinander und fand dadurch seinen eigenen Weg zur Abstraktion. Bis er von den Nazis als entarteter Künstler an den Rand gedrängt wurde und als Jude im KZ ermordet wurde. Diese Ausgrenzung und Auslöschung von Werk und Künstler prägt noch immer die Rezeption. Viele von Freundlichs Arbeiten wurden im nationalsozialistischen Deutschland zerstört. Sein Großer Kopf, den die Nazis 1937 auf das Titelblatt ihres Ausstellungsführers Entartete Kunst setzten, ist noch heute sein bekanntestes Werk.
Die Retrospektive soll nun eine Begegnung mit seinem Gesamtwerk ermöglichen und es in das Zentrum der kunstgeschichtlichen Entwicklung rücken. Die Ausstellung setzt ein mit den um 1910 entstandenen Kopf-Plastiken und -Zeichnungen, stellt seine kaum bekannten angewandten Arbeiten neben seine Skulpturen, Gemälde und Gouachen und liefert Einblicke in seine Schriften, in denen er sein Schaffen sozial und künstlerisch verortet hat.
Otto Freundlich Komposition, 1940 84 x 60 cm Gouache auf Papier Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Foto: Wilhelm-Hack-Museum / Joachim Werkmeister
Charakteristisch für seine eigene Entwicklung war zunächst die Nähe zur angewandten Kunst. In Teppichen, Mosaiken und Glasmalereien schloss er an die mittelalterliche Tradition der Zünfte an, um sie mit einer kollektiven Kunst der Zukunft zu verbinden. In der leuchtenden Flächigkeit alter Kirchenfenster sah er die Begrenzungen einer plastischen, von den Konturen der Gegenstände her konzipierten Kunst überwunden. Mit seinen eigenen angewandten, erst recht mit den abstrakten Arbeiten verfolgte er diesen Weg weiter. Die Abstraktion verstand er als Ausdruck einer radikalen Neuerung, die weit über die Kunst hinausging. Die gekrümmten Farbflächen seiner Gemälde reflektieren etwa das Raumkonzept der Physik Einsteins, mit der er schon früh vertraut war.
Die Retrospektive versammelt zahlreiche Leihgaben. Eines der schönsten Exponate aber - und ein Herzstück der Ausstellung - stammt aus Köln: das eindrucksvolle Mosaik Geburt des Menschen (1919), das Nationalsozialismus und Krieg in einem Schuppen überstanden hat. 1954 installierte es die Stadt Köln im neu errichteten Opernhaus. Danach geriet es - obwohl es stets öffentlich zugänglich war - nach und nach in Vergessenheit. Nun wird es im Museum Ludwig gezeigt: als ein Hauptwerk des Künstlers und zum ersten Mal im Kontext des Gesamtwerks.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Prestel Verlag, der Werk, Leben und Denken Otto Freundlichs umfassend vorstellt und den Stand der Forschung präsentiert.
(zuletzt aktualisiert: 16. Mai 2017 - 9:24 Uhr)